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Terroranschlag in Türkei: Kollateralschäden der Kriege in Libyen und Syrien

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Der Terroranschlag auf den Atatürk-Flughafen in Istanbul kommt nicht von ungefähr. Letztlich ist er das Resultat einer verfehlten Politik militärisch erzwungener Regimewechsel. Die Kollateralschäden sind beträchtlich. Neben Terror in der Türkei, Frankreich und Belgien, sind auch eskalierende Fremdenfeindlichkeit, Islamphobie und Rassismus, der Tod tausender Flüchtlinge sowie die Zerstörung des Asylrechts als Nebenfolgen zu bewerten.

 

Damit kein Zweifel aufkommt:

 

Die Unterstützung für den arabischen Frühling durch die Obama-Administration und die EU war richtig. Als die Menschen gegen korrupte Gewaltherrscher aufbegehrten, entschieden sich die USA und die EU-Staaten, auf der richtigen Seite der Geschichte zu stehen und ließen die zuvor noch hofierten Despoten fallen. So konnte in Tunesien eine – wenn auch fragile und nach wie vor mit vielen Schwierigkeiten und Menschenrechtsverletzungen behaftete - Demokratie entstehen, die heute massiv durch Terror bedroht ist.

 

Dann aber wurde die westliche Staatenallianz übermütig und verwechselte das Eintreten für friedlichen Regimewandel mit Krieg. Als die westliche Staatenallianz sich entschied, den libyschen Staatschef Gaddafi mit Waffengewalt zu stürzen, begann sie, den arabischen Frühling in einem Blutbad zu ertränken. Anstatt aus der libyschen Fehlentwicklung zu lernen, wurde der verheerende Weg in Syrien fortgesetzt. Nicht Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie entstanden in den betroffenen Staaten, sondern es erwuchs der islamische Staat (ISIS). Libyen befindet sich seither in der Hand zahlreiche Milizen und Banditen, Syrien liegt am Boden. Hunderttausende Menschen starben, Millionen haben ihre Rettung in der Flucht gesucht. Tausende sind im Mittelmeer ertrunken. Zehntausende leben vor der Haustür der EU als Bettler und Obdachlose in der Türkei, in ständiger Rechtsunsicherheit,  ohne Schule, Ausbildung und medizinische Versorgung, ohne Hoffnung und Perspektive für eine bessere Zukunft.  Der Verfasser hat sie selbst auf den Straßen Istanbul gesehen. Hier auf menschenrechte.eu wurde über sie bereits berichtet als sich noch niemand für sie interessierte, weil die Flucht über die Türkei damals noch nicht im Fokus des Interesses stand.

 

Als die verheerende Fehlentscheidung der militärischen Eskalation immer klarer wurde, beging die westlichen Staatengemeinschaft zwei weitere Fehler:

 

 - Die westlichen Staaten setzten ihren Kurs der militärischen Lösung fort, anstatt sich sofort um eine Kompromiss- und Friedenslösung aller beteiligten Kräfte, außer der Dschihadisten, zu bemühen. Als längst klar war, dass ein Sturz Assads nicht nur unrealistisch war, sondern sich dadurch aufgrund des islamischen Staates und der al-Nusra-Front auch keine Verbesserung der Situation für die Menschen in Syrien  ergeben würde, hielten die westlichen Staaten stur an ihrer Forderung nach einem bedingungslosen Rücktritt Assads fest. Sie lieferten weiter Waffen, versicherten sich der Solidarität der Golf-Monarchien und nahmen es hin, dass diese und die Türkei auch dschihadistische Kräfte massiv belieferten. Die Logik des „weiter so“ statt einer notwendigen Umkehr bestimmte eine Politik, die ihre eigene Fehleinschätzung nicht erkennen und korrigieren wollte.

 

- Die westliche Staatengemeinschaft verkannte ihre Verpflichtung zu Wiedergutmachung und humanitärer Hilfe. Obwohl die kriegerischen Auseinandersetzungen im Namen der Menschenrechte geführt wurden, wurde die moralische Pflicht sträflich vernachlässigt, den Opfern der eigenen Politik zur Seite zu stehen, für die fliehenden Menschen in einer konzertierten und nachhaltigen Aktion sichere Fluchtwege und Aufnahme bereit zu stellen. Indem es die westlichen Staaten verpassten, auch vor dem Hintergrund des eigenen Fehlers offensiv für Hilfeleistung und Humanität einzutreten, überließen sie die Diskussionshoheit den rechten Rattenfängern. Mit den tausenden Toten als Folge der europäischen Abschottungspolitik lieferten und liefern sie zudem dem islamischen Staat (ISIS) und anderen Fundamentalisten und Terroristen Argumente, die so die Heuchelei des Westens für ihre Rekrutierungsmaschinerie propagandistisch verwenden können. Auch über die Siegeszüge rechtsradikaler Parteien und die Zunahme von Islamhass und fremdenfeindlicher Gewalt dürfte sich niemand mehr freuen als ISIS und Co. Die mangelnde Solidarität und Menschlichkeit der westlichen Staatengemeinschaft und abertausenden Toten, die ihre Abschottungspolitik bisher erzeugte, mögen so als Bumerang auf die Verursacher zurückfallen. Wären die westlichen Staaten den Weg gelebter internationaler Solidarität gegangen, ihr Image hätte sich enorm verbessert und die Attraktivität ihrer Gegner hätte abgenommen.

 

Nachdem die Gesellschaften in Libyen, Syrien und im Irak in Schutt und Asche verwandelt wurden, kommt der Terror immer mehr auch zu denjenigen, die zuvor meinten, durch militärische Mittel dort Regierungen auswechseln zu müssen.  Mehr als 40 Toten in Istanbul zeigen erneut: Sie haben damit nichts Gutes getan.

 

Zu befürchten ist eine Politik nach dem Motto „mehr des Gleichen“.  Die rechten Horden und ihre nur scheinbar gemäßigter auftretenden Parlamentsvertreter, die sich in Wirklichkeit über jeden Terroranschlag klammheimlich freuen,  werden Muslime weiterhin zu Sündenböcken erklären und die Bevölkerung aufhetzen. Fremdenfeindliche Gewalt wird zunehmen. All dies aber kann die Anziehungskraft der Terroristen nur erhöhen. Der Demokratisierungsprozess in der Türkei ist sowieso offensichtlich beendet, was ein weiterer Kollateralschaden der Kriegspolitik ist. War zuvor noch der Frieden zwischen türkischer Regierung und den Kurden zum Greifen nahe, entwickelt sich jetzt ein erneuter Bürgerkrieg. Dies wiederum hinderte die Bundesrepublik Deutschland nicht daran, die Türkei zum verfolgungsfreien Drittland zu erklären, wodurch sie gemeinsam mit EU-Milliarden Erdogan signalisiert, dass Menschenrechtsverletzungen hingenommen werden.

 

Wenn Frieden und Rechtsstaatlichkeit erwünscht sind, sollte aber das Signal aus dem neuen Terroranschlag in der Türkei ein ganz anderes sein: Kein „weiter so“, sondern ein Aufruf zur Umkehr:

 

-  Eingeständnis der eigenen Fehler

-  Praktiziertes Bekenntnis zu Diplomatie und Solidarität

-  Sichere Fluchtwege und koordinierte Flüchtlingsaufnahme

-  Eintreten für einen Kompromiss in Syrien, Libyen und  Irak bei Aufgabe aller eigenen Maximalforderungen

-  Wiedergutmachung durch Bereitstellung von Geldmitteln im Sinne eines neuen Marshallplans, um den zerfallenen Gesellschaften und Staaten ein wirtschaftliches Überleben und eine Erholung als Voraussetzung ihres Sieges gegen den Terror zu ermöglichen

 

Einen einfachen Ausweg gibt es nicht mehr, aber der Weg der Diplomatie, Rechtsstaatlichkeit, Wiedergutmachung und Humanität wäre sicherlich am ehesten dazu in der Lage,  dem Terror eine dauerhafte Niederlage zu bereiten.

 

Verfasser: Guido F. Gebauer

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