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Indien: 50 Millionen Frauen fehlen - Interview mit Rita Banerji über einen anhaltenden Völkermord

In Indien fehlen 50 Millionen Frauen

In Indien fehlen nach wissenschaftlich-statistischen Berechnungen ungefähr 50 Millionen Frauen, eher mehr als weniger. Sie fehlen, weil weibliche Föten gezielt abgetrieben werden, weil weibliche Kinder getötet werden, weil erwachsene Frauen ermordet werden. Es handelt sich um einen Femizid, einen gegen das weibliche Geschlecht gerichteten Genozid (Völkermord), zu dem die Regierung in Indien, die UN und andere Kräfte der internationalen Gemeinschaft noch weitgehend schweigen.

 

Rita Banerji hat die Kampagne „50 Millionen fehlen" (Englisch hier) begründet. Sie setzt sich gegen einen vielen Menschen nach wie vor unbekannten Genocid an den Frauen Indiens ein, dessen Ausmaß durch die Anzahl der 50 Millionen fehlenden Frauen zum Ausdruck kommt. 

 

Im Interview mit menschenrechte.eu spricht Rita Banerji über die vielen Millionen fehlender Frauen in Indien, die Ursachen für diese andauernde Menschenrechtskatastrophe wie auch über Möglichkeiten, diesen Femizid zu stoppen. 

 

Interview mit Rita Banerji

 

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In der Kampagne „50 Millionen fehlen“ wird die Bezeichnung „Femizid“ benutzt. Was bedeutet dies? Gibt es irgendeine Beziehung zwischen „Femizid“ und „Genozid“?

 

Femizid wurde zum ersten Mal politisch definiert durch Dr. Diana Russell Anfang der 70iger Jahre. Die Bezeichnung bezieht sich auf die Tötung einer weiblichen Person nur aufgrund ihres Geschlechtes. Diese Definition wurde auch offiziell anerkannt auf dem globalen Symposium der UN über den Femizid in Wien im November 2012.

 

Die Kampagne „50 Millionen fehlen“ ist eine Kampagne gegen den Genozid an Mädchen und Frauen. Sogar ein einziger Vorfall einer geschlechtsbasierten Tötung eines Mädchens oder einer Frau ist ein Femizid. Aber wenn es einen massiven Femizid gibt, also, wenn es Millionen von Femiziden gibt, dann ist dies ein Genozid. Jeder Genozid beinhaltet die systematische und zielgerichtete Auslöschung von Menschen, nur weil sie zu einer bestimmten Untergruppe von Menschen gehören.

 

Im Falle des gegen das weibliche Geschlecht gerichteten Genozides werden Menschen in Massen eliminiert, weil sie zum weiblichen Geschlecht gehören. Unsere Kampagne betrachtet dies als einen Genozid gemäß der UN-Konvention zum Völkermord von 1948, und eines unserer Ziele ist es, dafür Überzeugungsarbeit zu leisten, dass die UN dies auch offiziell anerkennt. Die vollständige Argumentation hierzu kann im folgenden Artikel nachgelesen werden: Warum soll die Vernichtung indischer Frauen als Genozid gewertet werden?

 

Warum bezieht sich die Kampagne auf Indien und nicht auf China? Gibt es nicht ein ähnliches Problem in China?

 

Ja, ebenso wie Indien hat auch China fast 20 % der Frauen von seiner Gesamtbevölkerung eliminiert. Die Frau zu Mann Rate in jedem Land sollte ungefähr 50 zu 50 sein mit einem leicht höheren Prozentsatz von Frauen als von Männern, weil Frauen normalerweise länger leben als Männer und auch, weil weibliche Kleinkinder typischerweise eine geringere Sterblichkeit aufweisen als männliche Kleinkinder. Aber in Indien wie auch in China gibt es ungefähr 20 %  mehr Männer als Frauen.

 

Es gibt zwei Gründe, warum unsere Kampagne sich nur auf Indien bezieht. Der erste Grund ist, da ich die Kampagne begründet habe, ich mich auf das Land beziehe, über welches ich am besten informiert bin. Seit 2003 betreibe ich Forschungsarbeiten und schreibe über den Genozid am weiblichen Geschlecht in Indien. Mein Buch Sex and Power: Defining History, Shaping Societies (Pinguin Global, 2009) ist eine historische Untersuchung, wie geschlechts- und sexualitätsbezogene Normen in Indien zum Genozid am weiblichen Geschlecht geführt haben. Außerdem arbeite ich seit 2006 – als ich die Kampagne „The 50 Million Missing" begründete – als eine politische Aktivistin, um das gesellschaftliche Bewusstsein über den Femizid zu erhöhen und den Genozid am weiblichen Geschlecht zu beenden.

 

Der zweite Grund ist, dass sich die Dinge zwischen den beiden Ländern unterscheiden. In China liegt es vorwiegend daran, dass weibliche Föten abgetrieben werden im Rahmen der Ein-Kind-Politik. Wenn also ein chinesisches Paar davon ausgeht, dass sie nur ein Kind haben dürfen, tendieren sie dazu, einen Sohn zu wählen. In China hat die Regierung außerdem festgestellt, dass eine Flexibilisierung der Ein-Kind-Politik zu einem echten Unterschied führt und dass daraus die Bevölkerungsrate von Frauen im Vergleich zu Männern erhöht wird.

 

Es gibt ebenfalls Tötungen von weiblichen Kindern in China, aber nicht in diesem Ausmaß wie in Indien. In Indien gibt es keine Ein-Kind-Politik. Außerdem ist es in Indien eindeutig, dass Armut und Analphabetismus nicht die treibenden Kräfte hinter dem Genozid am weiblichen Geschlecht sind. Tatsächlich zeigt die letzte Volkszählung in Indien 2011, dass die einzige Schicht in Indien, die einen normalen Frauenanteil aufweist, diejenigen 20 % sind, die zu den Ärmsten in Indien und zu den Analphabeten gehören. Schockierenderweise steigt bei wachsendem Wohlstand und bei wachsender Ausbildung die Rate des gegen das weibliche Geschlecht gerichteten Genozides in Indien an. Es ist die Schicht der 20 % wohlhabendsten und am besten ausgebildeten Personen in Indien, die den geringsten relativen Anteil von Frauen aufweist. So scheinen in Indien Reichtum und Ausbildung den gegen das weibliche Geschlecht gerichteten Genozid weiter zu fördern.

 

Es gibt hier eine patriarchalische Logik. Familien wollen ihren Reichtum nur entlang der männlichen Linie vererben. Je mehr Wohlstand eine Familie hat, desto mehr Gründe hat sie daher, keine Töchter haben zu wollen.

 

Außerdem geschieht in Indien – im Unterschied zu China – die Tötung von Frauen in allen Entwicklungsstadien und Altersbereichen vor und nach der Geburt. Es gibt eine extensive Tötung weiblicher Föten. Aber es gibt ebenfalls eine weit verbreitete Tötung weiblicher Kinder und eine schockierend hohe Tötungsrate von Mädchen bis zum Alter von 6 Jahren. Es gibt ebenfalls verschiedene Formen der Tötung von Frauen, wie Mitgiftmorde, Ehrenmorde und Lynchungen von angeblichen  Hexen, denen tausende von Frauen in Indien zum Opfer fallen. China kennt nicht dieses Ausmaß an Tötungen von Mädchen und von Frauen nach der Geburt.

 

Die indische Regierung hat es 1984 verboten, das Geschlecht von Kindern vor ihrer Geburt feststellen zu lassen. Warum sagen Sie, dass die indische Regierung nicht genug getan hat – was könnte und sollte die indische Regierung tun, um den Femizid zu stoppen?

 

Wenn wir uns die Geschichte eines jeden Genozides anschauen, werden wir feststellen, dass Genozide auch in den Ländern, wo sie zu der entsprechenden Zeit geschahen, gesetzlich illegal waren. Deshalb kann ein Gesetz in sich selber keinen Beweis darstellen, dass eine Regierung die geschädigte Bevölkerungsgruppe schützt. Die indische Regierung, die Polizei und das indische Rechtssystem haben bei der Umsetzung der Gesetze komplett versagt.

 

Es ist erschütternd, in welchem Ausmaß die Gesetze bezüglich aller Formen von Femiziden - Abtreibungen, Kindstötungen, Mitgiftmorden und Ehrenmorden -  einfach ignoriert werden. Die Regierung wird hierfür nicht zur Rechenschaft gezogen. Der aktuell laufende Genozid am weiblichen Geschlecht ist Ergebnis eines kompletten Zusammenbruchs des Rechtssystems in Indien. Der Femizid ist das Ergebnis von Anarchie, wie alle Genozide. Die Regierung ignoriert unverhohlen auch Versuche der Justiz, sie zur Verantwortung zu ziehen. Dies kann auch hier nachgelesen werden: Regierung missachtet Justice Verma Report zu Indiens geschlechtsspezifischer Gewalt. Tatsächlich gibt es sogar Fälle, wie 1996 bei dem Massaker gegen Sikh und 2002 bei dem Massaker gegen Muslime in Indien, wo die Regierung an systematischer Gewalt an Frauen beteiligt gewesen ist. Siehe hier: „Amu“ Indiens Weckruf zur Erinnerung an die 1994 an den Sikh begangenen Vergewaltigungen und Morde. Dies ist auch der Grund, warum 2006 die UN den R2P (Responsibilty to Protect) Absatz zum Genozidact hinzugefügt hat. Dieser neue Absatz führt aus, dass es nicht hinreichend ist, dass eine Regierung Gesetze einführt, um einem Genozid entgegenzuwirken. Vielmehr muss die internationale Gemeinschaft dann kollektiv aktiv werden, um die betroffene Bevölkerung zu schützen, wenn eine Regierung bei der Umsetzung des Gesetzes versagt und die bedrohte Gruppe nicht beschützt.

 

 

Gibt es wirklich 50 Millionen Frauen, oder handelt es sich hier nur um eine Schätzung? Die Anzahl der vermissten Frauen entsteht durch Abtreibung, Kindestötungen und Mitgiftmorde. Wie ist die relative Bedeutsamkeit dieser verschiedenen Ursachen? Gibt es weitere Ursachen?

 

 

Es ist natürlich keine exakte Zählung, aber eine statistische Schätzung. Normalerweise liegt in einer Bevölkerung das Verhältnis von Männern zu Frauen bei 100 zu 105. Basierend auf diesem normalen Geschlechterverhältnis kalkulierte 1987 der Ökonom und Nobelpreisträger Dr. Amartya Sen, dass 37 Millionen Frauen in Indien fehlen. Tatsächlich war es Dr. Amartya Sen, der zum ersten Mal den Begriff des Fehlens verwandt hat. Die Regierung war sich also des Problems bereits lange bewusst, aber sie hat lediglich ein paar Gesetze gegen das Töten von weiblichen Föten, Kindestötungen und Mitgiftmorden erlassen, hat aber bis jetzt kein Interesse gezeigt, diese Gesetze in einer effizienten Art und Weise anzuwenden.

 

2002 hat Dr. Gautam Allahbadia, ein indischer Mediziner, eine ähnliche statistische Analyse wie Dr. Sen durchgeführt und hat diese veröffentlicht

im Journal of Assisted Reproduction and Genetics, wobei er aufzeigt, dass mittlerweile ungefähr 50 Millionen Frauen fehlen. Dies ist die für den damaligen Zeitraum beste Schätzung. Allerdings zeigt nunmehr unsere Zählung 2011, dass die Rate des gegen das weibliche Geschlecht gerichteten Genozides nach wie vor zunimmt, sodass seit der Schätzung von Dr. Allahbadia 2002 die tatsächliche Anzahl der fehlenden Frauen gewachsen ist und insofern höher sein dürfte als 50 Millionen.

 

Die wichtigsten Ursachenfaktoren für den Genozid am weiblichen Geschlecht in Indien sind die Tötungen von weiblichen Föten, die Tötung von Mädchen bis zum Alter von 6 Jahren, der Tod von Frauen aufgrund von multiplen und spät durchgeführten Abtreibungen, zu denen sie mit Gewalt gezwungen werden, und Mitgiftmorde. Ein genauerer Überblick über die Ursachen wird hier gegeben: Kampf gegen den Völkermord am weiblichen Geschlecht in Indien.

Es wird geschätzt, dass es jedes Jahr über eine Million Abtreibungen von weiblichen Föten in Indien gibt. Alle fünf Minuten stirbt eine Frau in Indien aufgrund von Schwangerschaftskomplikationen, was die höchste Müttersterblichkeit in der ganzen Welt ist. Vor kurzem wurde eine Fernsehshow mit dem Namen Satyamev Jayate gesendet, wo Frauen darüber sprachen, wie sie durch ihre Ehemänner und Schwiegereltern mit Schlägen und Gewalt gezwungen wurden, viele Abtreibungen zu haben oder Versuche zu unternehmen, ihre weiblichen Kinder zu töten. Neueste Untersuchungen zeigen, dass die Tötungsrate von Kindern unter 6 Jahren in Indien bei Mädchen 75 % höher ist als bei Jungen. Siehe auch hier: Woran sterben Indiens kleine Mädchen?

 

Ein Fall, den unsere Kampagne aufgegriffen hat, ist der des kleinen Mädchens Karishma. Ihre Geschichte wird hier erzählt: Karhishmas Großmutter versuchte, sie zu töten.

 

Eine neuere Untersuchung in Krankenhäusern, die Brandopfer behandelt, zeigt, dass mehr als 100.000 jungen Frauen in einem Jahr tödliche Brandverletzungen zugefügt wurden, wobei die meisten Fälle auf Fremdverschulden hinwiesen, die Polizei jedoch nicht ermittelte – ebenso wenig wie sie es bei den Mitgiftmorden tut. Die Polizei möchte diese Ermittlungsarbeit nicht durchführen, und es gibt kein System, welches sie zur Rechenschaft zieht. Verbrennen ist die häufigste Methode des Mitgiftmordes, weil Verbrennungen am einfachsten als Küchenunfälle dargestellt werden können, wobei es allerdings viele andere Tötungsmethoden gibt. Frauen, die Mitgiftmorden zum Opfer fallen, werden erhängt, zu Tode geschlagen, vergiftet, ertränkt oder sogar erschossen. Wenn eine Frau sich scheiden lässt, erhält sie ihre Mitgift zurück und kann möglicherweise sogar Unterhalt verlangen. Wenn die Frau aber getötet wird, weiß jeder, dass die Polizei untätig bleibt.

 

Es gibt noch andere Faktoren, wie „Hexenverfolgung“ und „Ehrenmorde“, die zu Tötungen von Frauen führen. Diese Fälle liegen vermutlich nicht in den Tausenden, aber es gibt Hunderte auch solcher Fälle, sodass diese ebenfalls als bedeutsam zu bewerten sind. Die meisten Frauen, die als Hexen getötet werden, sind partnerlose Frauen, typischerweise Witwen, wobei die Gemeinschaft sie zu Hexen erklärt und sie dann tötet, um an ihr Eigentum zu gelangen. Wie ich es oben erwähnt habe, ist die Tötung von Frauen in Indien letztlich ein Ausdruck der Macht des Patriarchates, weil das patriarchalische System es nicht wünscht, dass Frauen über Ressourcen und Wohlstand verfügen.

 

Haben Sie irgendeine Erklärung dafür, warum die Position der Frauen in Indien nach wie vor so gering zu sein scheint, dass die Gesellschaft den Femizid duldet? Können Sie uns etwas über Widerstand in Indien gegen den Femizid berichten?

 

Von meinen Forschungen für mein Buch Sex and Power habe ich gelernt, dass dieses Problem in den religiösen und kulturellen Traditionen des Landes verankert ist. Es geht um das patriarchalische System, welches versucht, dafür Sorge zu tragen, dass die Männer die Kontrolle über den Wohlstand, die Ressourcen und die Macht behalten. Da dies aber in den religiösen und kulturellen Glaubenssätzen verankert ist, erscheint es den Menschen in ihrer alltagspsychologischen Wahrnehmung und Bewertung als gerechtfertigt. Sie wissen, dass sie etwas Illegales tun, aber sie orientieren sich an den moralischen Bewertungen von der Religion und der Kultur.

 

Es gibt eine religiös begründete Rechtfertigung für das Töten weiblicher Neugeborener und auch von Witwen in den ältesten Hindutexten. Die ersten offiziellen Daten zum Genozid am weiblichen Geschlecht in Indien stammen aber von den Briten, als diese in den späten Jahren des 19. Jahrhunderts eine erste Volkszählung durchführten. Sie waren schockiert über diese Praktik und versuchten, die Tötung von Mädchen und andere Formen der Tötungen von Frauen, wie Witwenverbrennungen, zu stoppen. Die Briten stellten damals fest, dass der Genozid am weiblichen Geschlecht vorwiegend in den Hindu-Gemeinschaften praktiziert wurde.

 

Aber mittlerweile hat er sich in allen religiösen und ethnischen Gemeinschaften ausgebreitet und beinhaltet all seine Formen von Tötungen weiblicher Föten und Tötungen von Mädchen bis hin zu Mitgiftmorden. Wegen der kulturellen und religiösen Legitimierung erleben die hierfür verantwortlichen individuellen Menschen keine moralische Schuld, obwohl sie wissen, dass ihr Handeln illegal ist.

 

Leider muss ich sagen, dass es nur sehr wenig Widerstand von Frauen und Menschenrechtsbewegungen in Indien gibt. Ich habe den  Eindruck, dass die meisten hoffen, dass die Inder mit dieser Praxis aufhören werden, wenn man ihnen einfach sagt, dass es eine falsche Praxis ist. Es gibt auch eine Menge an Verleugnungen, weil die indische Bevölkerung die Tradition und die Geschichte hochhält und weil sie sich mit der Wahrheit nicht auseinandersetzen will. Was besonders erschreckend ist, ist, dass die Frauen selbst diese Gewalt so verinnerlicht haben, dass selbst sie an der Tötung von Mädchen und Frauen teilnehmen, siehe hier: Wenn Mütter ihre Töchter töten.

 

Es ist sehr wichtig zu verstehen, dass bei jedem Völkermord die Menschen nicht aufhören zu töten, nur weil man es ihnen sagt. Völkermorde sind noch niemals beendet worden, weil Menschen plötzlich ein Gewissen entwickelt haben. Völkermorde hören dann auf, wenn Veränderungen der gesetzlichen Basis und der Implementierung von Gesetzen durchgesetzt werden, sodass diejenigen, die töten, nicht mehr töten können. Allerdings gibt es nur sehr wenige Bemühungen, eine Verantwortlichkeit von Regierung, Polizei und Justizsystem durchzusetzen, die die klare Botschaft beinhalten würde, dass es sich um eine Menschenrechtsverletzung handelt und dass diese in Indien durch das Justizsystem und durch die Polizei nicht mehr geduldet werden wird.

 

Wie reagieren die Vereinten Nationen und andere Mitglieder der internationalen Gemeinschaft?

 

Ich habe oben bereits über den R2P-Act der UN über Völkermord gesprochen. Dieser Zusatz sagt aus, dass die internationale Gemeinschaft nicht nur das Recht, sondern die Pflicht hat, zu intervenieren, wenn eine Regierung dabei versagt, ihre eigenen Gesetze durchzusetzen und Völkermorde im eigenen Land zu verhindern. Im November 2012 fand ein globales Symposium über den Femizid des United Nation’s Academic Council in Wien statt, welches das Ziel hatte, einen Resolutionsentwurf vorzulegen, der Femizid als ein universales Verbrechen gegen Frauen und die Menschlichkeit anerkennt. Dies ist ein großer Fortschritt bezüglich der internationalen Strafgesetzbarkeit. Wenn diese Art von Genozid zum Nachteil des weiblichen Geschlechts sich auf irgendeine andere menschliche Gruppe beziehen würde, würde die internationale Gemeinschaft schnell reagieren. Das dies nicht der Fall ist, wenn Frauen Zielgruppe völkermörderischer Handlungen sind, liegt daran, dass die internationalen Gesetze bisher die hassbasierte Tötung von Frauen nicht als ein mit der Tötung von Menschen aufgrund von Religion oder Rasse vergleichbares Verbrechen anerkennen. Dies ist das Video meiner Präsentation auf dem UN-Symposium, wo ich gefordert habe, dass die UN die Ausrottung von Frauen als Völkermord gemäß des UN-Genozidacts von 1948 anerkennen sollte.

 

Kürzlich wurde der indische Premierminister Manmohan Singh bei einem Deutschlandbesuch auf einer Pressekonferenz gefragt, warum seine Regierung bisher gescheitert ist, die Frauen in Indien zu schützen. Dabei wurde ebenfalls darauf hingewiesen, dass der Grund, warum westliche Regierungen, einschließlich der deutschen Regierung, schweigen, darin liegt, dass Indien sehr attraktiv ist für die Ansiedlung internationaler Konzerne und Geschäftsbeziehungen, und die westlichen Regierungen Menschenrechte gegen ökonomische Voreile tauschen.

 

Selbstverständlich hat unser Premierminister dies zurückgewiesen. Aber tatsächlich ist genau dies die Wahrheit und der Grund, warum westliche Regierungen das Problem ignorieren. Es hat mich sehr gefreut, diese öffentliche Meinungsäußerung in Deutschland zu hören, weil genau diese Fragen gestellt werden müssen, auch durch die Öffentlichkeit in anderen Ländern. Regierungen und die großen Wirtschaftskonzerne interessieren sich typischerweise nicht für Menschenrechtsverletzungen, solange sie dennoch wirtschaftlich erfolgreich sein können. Dies haben wir früher bereits in Südafrika gesehen.

 

Auch die öffentliche Meinung in den westlichen Ländern zwang schließlich Regierung und multinationale Konzerne, sich aus Südafrika zurückzuziehen, was letztlich zum Zusammenbruch des Apartheid-Systems in Südafrika führte. Genauso muss es auch in Indien geschehen.

 

Können Sie uns etwas erzählen über die Kampagne gegen den Femizid in Indien? Beschäftigt sich Ihre Kampagne vorwiegend damit, Informationen zur Verfügung zu stellen, oder gibt es weitere politische Aktivitäten oder Proteste? Gibt es eine internationale Zusammenarbeit?

 

Es gibt drei Hauptziele der Kampagne:

 

1. Erhöhung des öffentlichen Bewusstseins über den Femizid in Indien: Die meisten Menschen wissen nichts über das Ausmaß dieses Genozids oder was er beinhaltet. Die meisten denken, es geht ausschließlich um geschlechtsspezifische Abtreibungen. Deshalb wollen wir, dass die Menschen die Wahrheit darüber erfahren, was tatsächlich läuft. Wir setzen uns hierfür durch unsere Blogs und soziale Netzwerkseiten ein. Wir haben auch Präsentationen mit Fotomaterial erstellt, die wir zum Download und zur Präsentation in Schulen, Universitäten, anderen Organisationen und auf Konferenzen zur Verfügung stellen.

 

2. Lobbyarbeit für die internationale Anerkennung dieses Genozids. Wir setzen uns ein, dass diese geschlechtsspezifischen Massentötungen international als Genozid gemäß der UN-Konventionen von Genozidact 1948 anerkannt werden.

 

3. Einsatz für eine zeitnahe Beendigung dieses Völkermordes. Wir setzen uns für Regierungs- und andere internationale Maßnahmen ein, um den Genozid zu stoppen. Wir verlangen, dass die Regierung von Indien sich auf ein Zeitfenster verpflichtet, innerhalb dessen sie den Völkermord gegen das weibliche Geschlecht beendet haben muss, einschließlich aller damit verbundenen Praktiken, wie Mitgiftmorde, Kindestötungen und selektive Tötung weiblicher Föten.

 

Dies sollte stattfinden in Zusammenarbeit mit internationalen Menschenrechtsorganisationen. Wir bitten hier auch um Unterstützung unserer diesbezüglichen Petition: Hier zur Petition in deutscher Sprache.

 

Es gibt sicherlich viel öffentliche Unterstützung für unsere Kampagne. Mehr als 550.000 Menschen aus 200 Ländern unterstützen unsere Kampagne auf verschiedenen Plattformen. Dabei verfügen wir über keine finanziellen Mittel, sammeln keine Spenden. Die Menschen unterstützen uns sehr, wobei in den letzten sechs Jahren alle Arbeit durch ehrenamtlich Tätige geleistet wurde. Jedoch ist die internationale Gemeinschaft und sind internationale Menschenrechtsorganisationen wie auch Frauenrechtsorganisationen noch sehr zurückhaltend, um sich eindeutig zu positionieren und anzuerkennen, dass der Femizid in Indien eine relevante politische und menschenrechtsbezogene Thematik ist. Wir hoffen aber, dass mehr Organisationen dies als einen Völkermord anerkennen werden, der die gleichen Maßnahmen erfordert, wie jeder andere Völkermord.

 

Sind Sie optimistisch oder pessimistisch, dass es gelingen wird, den Femizid in Indien zu beenden? Wenn Sie glauben, die Kampagne wird erfolgreich sein, wie lang wird es Ihrer Vermutung nach dauern?

 

Da es um die Menschenrechte einer ganzen Gruppe von Personen geht, kann es nur eine Antwort geben:

 

Der Genozid am weiblichen Geschlecht muss beendet werden, und jeder, von der indischen Regierung bis zu internationalen Institutionen und den Bürgern Indiens und weltweit, ist dafür verantwortlich, dass dies geschieht.

 

Wenn die Geschichte der Völkermorde betrachtet wird, wird als Muster erkennbar, dass völkermörderische Gewalt – trotz ihres Ausmaßes und ihrer Intensität – komplett aufhört, sobald die internationale Gemeinschaft sich entscheidet, diese als Völkermord zu betrachten und beginnt, juristisch und organisatorisch zu intervenieren, um den Völkermord zu stoppen. Ich glaube, dass es genau so auch in Indien sein wird.

 

Was können unsere Leserinnen und Leser tun, um den Femizid in Indien zu stoppen?

 

Derzeit bitten wir die Menschen vor allem, die Petition zu unterzeichnen,, damit die UN und andere internationale Organisationen Indien auffordern, eine Frist zu setzen, bis zu der die bestehenden Gesetze umgesetzt sein müssen. Wer nicht über Facebook unterzeichnen kann oder möchte, hat die Möglichkeit, die Petition auf Changes.org zu unterstützen.

 

Hier zur Petition bei Facebook!  oder

Hier zur Petition bei Changes.org!

 

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Kommentar von Andrea Schlund |

Thank you!

Kommentar von Yvonne Coorman |

Kaum zu glauben dass es sowas wie Femizid gibt! Ich bin schockiert!

Kommentar von Peter Bobrowski |

Schlimm

Kommentar von heidi weinlandner-wahl |

mir fehlen die worte ........

Kommentar von Sabine Scheerer |

Ich würde sehr gerne unterzeichnen, möchte aber nicht, dass fb meine Daten (Profil, Freundesliste, Geburtstag ...) verwendet. Sehr schade!!!
Ich unterzeichne dann, wenn es die Petition auf Change.org gibt.
Danke für Ihre Arbeit!
Herzliche Grüße
Sabine Scheerer

Kommentar von Anita Gugler |

Tiefstes Mittelalter. Aber in Indien sind nicht alle Moslems. kath. Kirche ist auch nicht besser.

Kommentar von Franz Gugler |

So eine SCHANDD

Kommentar von julia katzianka |

ich hoffe, es geht bald was voran!

Kommentar von heidi fink |

:(((((

Kommentar von Kathleen Pinske |

Den evolutionären Stand einer Gesellschaft misst man daran, wie gut sie ihre Mitglieder behandelt

Kommentar von Emina Saric |

no comment

Kommentar von andrea |

die ganze welt ist schlimm, egal in welches land man schaut- es gibt keinen respekt vor dem leben und menschen und tieren . wir sind auf dieser welt alle nur gäste und dem entsprechend sollte man sich verhalten und sich selbst nicht der nächste sein !

Kommentar von Jelena Milanovic |

Also kein Kommentar... Wir leben in einer Zeit wo Dämonen herrschen... Niemand hat respekt vor garnichts... garnicht ist auch heilig... Und besonders gegenüber Frauen: betrogen, gelogen, ausgenutzt, vergehaltigt, getötet... Und das ganze wozu??? Weil der liebe Schöpfer den Männern den Schwanz zwieschen den Beinen gab... Leider hat er dennen den verstand und gefühle weggenommen... Sein größter Fehler... Wir Frauen müssen uns dagegen wehren. Wir Frauen können aus in den Militär, schießen und Menschenleben nehmen, tun es aber nicht... Wieso??? Weil wir Menschen nicht die Rolle des Schöpfers übernehmen dürfen... Nicht weil wir unwürdig sind, sondern weil wir uns mit Konsequenzen nicht abfinden können, geschweige den damit leben... Wir sind nicht im Stande die Verantwortung zu Übernehmen für unseres Denken, kaum für die Taten die das ganze Welt betrifft... Was für eine Schande für dieses Welt...

Kommentar von otmar.pregetter |

gerne unterzeichne ich hier!

Kommentar von Regine Brockmann |

Es fehlen mir die Wort zu dieser Katastrophe. Ich habe als Frau in Europa einen gute Position. Besser war es auch nie. Diese Menschenverachtung schockiert mich sehr. Die Entwicklung war jedoch voraus zu sehen.

Kommentar von Lieselotte Fickus |

Es ist eine Gnade, aber auch eine Verpflichtung, hier in diesem Kulturkreis geboren zu sein. Wie weit muss das Monströse im Menschen noch gedeihen, dass es möglich ist, solch Schändliches zu tun, aber auch, es stillschweigend zuzulassen. Wieso richtet sich weltweit so viel Gewalt, Unterdrückung, Verstümmelung und Tötung gegen Frauen, mit Billigung, ja Gutheißung verschiedenster Religionen und Regierungen? Ich fühle mich oft so ohnmächtig angesichts allen Leides, bin es aber realistisch gesehen gar nicht...

Kommentar von I. Lenz-Grau |

Auf dieser Welt regiert nicht das Herz, sondern das "EGO". Je mehr Menschen zu ihrem Herzen finden, umso weniger wird gequält und getötet. finden. Es fehlt auf dieser Welt die Liebe, Liebe und nochmals Liebe..

Kommentar von Christian Halle Saale |

Dieses Dilemma ist schon sehr lange bekannt und niemanden scheint es soweit zu stören, dass Intendanten es gestatten würden ausführlich in den jew. Medien darüber zu berichten. Eine Bekannte von mir (Journalistin) hatte eindrucksvolles mitunter brutales Bildmaterial, was nicht gesendet wurde, da es angeblich auch Kinder sehen könnten. Es ist tragisch, dass Menschen die Realität zensieren, weil Kinder ja mit ihr anstatt des Made in China-Osterhasen oder U.S.-Weihnachtsmann konfrontiert werden könnten. Na dann, happy Zensur im Großen und vielen Dank an all diejenigen (WIE HIER i. d. F. Rita Banerji), die es dann doch mal bis zu einem Teil der Öffentlichkeit durchdringen und damit extremen Mut beweisen.

Kommentar von Eva Maria Kölling |

Ändern Sie die Gesetze!!!!!!

Kommentar von Josefine Rabe |

Bitte stoppen Sie das Töten der Frauen, das ist eine unfassbare Gewalt, die da geschieht. Mit welchem Recht wird das getan? Es gibt keines, weder ein geschriebenes noch ungeschriebenes, das solche Taten rechtfertigt!

Kommentar von Schumacher |

gerne unterstütze ich die Kampange

Kommentar von Mirjam Reitz |

Mit welchem Recht versucht der Mensch hier Gott zu spielen? Unfassbar!

Kommentar von Hermine Kogler |

Unfassbar und die Welt schaut zu.
Gerne unterstütze ich die Kampagne.

Kommentar von cristina |

ich mache mit

Kommentar von Josef EGGER |

Shame! Shame! Shame! In 2013 !!!

Kommentar von Hartl-Ekinci Rosmarie |

Frauenrechte gehören mehr geschützt. Überall auf der welt!

Kommentar von Ka Dietze |

Unfassbar!!! Stoppt das Töten!!!

Kommentar von Gesa Fuchs |

Das muss ein Ende haben!

Kommentar von Heike Busch |

Die Zeit der Veränderungen hat schon vor längeren begonnen. Es ist gut etwas für sie zu tun!!!

Kommentar von Monika Hofner |

Die Indische Regierung wird nur durch massive Proteste von anderen Ländern und Organisationen dazu zu bewegen sein, dieser unfassbaren Praxis den Riegel vorzuschieben. Das Netzwerk Avaaz wäre meines Erachtens nach ein sehr guter Weg, relativ schnell etwas zu bewirken, da innerhalb kürzester Zeit Millionen von Mitgliedern mobilisiert werden können und Avaaz auch in der Lage ist effektive Maßnahmen zu ergreifen, um die öffentliche Aufmerksamkeit auf dieses Thema zu lenken.

Kommentar von ursula kather |

Ich will das es ein Enda hat!

Kommentar von Aliki Nalbantis |

Unterzeichne gerne.

Kommentar von Maria |

Indien ist ein wunderschönes Land, jedoch mittlerweile sehr gefährlich für Frauen geworden. Immer wieder hört man von brutalen Vergewaltigungen in Indien. Sogar die Ausländerinnen werden vergewaltigt... Man sollte vermeiden als Frau,nach Einbruch der Dunkelheit unterwegs zu sein. Hier anderen interessanten Beiträge:http://deutschewoche.de/category/menschenrechte/

Kommentar von Remo |

Besonders schlimm: "Erst zwei Monate nach der ersten Gruppenvergewaltigung agierte die Polizei."

http://polizei24.ch/gruppenvergewaltigung-indien/