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Massaker im Mittelmeer

(Kommentare: 1)

Mehr als 3400 Flüchtlinge sind in diesem Jahr bereits auf dem Mittelmeer gestorben. Mehr als 207000 versuchten, das rettende Europa zu erreichen. Grund für die Zunahme der Fluchtbewegung ist die Eskalation kriegerischer Auseinandersetzungen, für die auch die westliche Staatengemeinschaft und die Staaten der europäischen Union, maßgebliche Mitverantwortung tragen.

 

Die Antwort Europas auf die Zunahme der Fluchtbewegung ist die Beendigung der Rettungsmission "Mare Nostrum" im Mittelmeer. Die durch die EU durchgeführte Such- und Rettungsmission im Mittelmeer hatten wenigstens einigen Tausend Menschen das Leben retten können. Mit der Einstellung der Rettungsmission sind nunmehr steigende Totenzahlen zu erwarten - mehr Kinder, Frauen und Männer als bisher werden im Mittelmeer den Überlebenskampf verlieren.

 

Die britische Innenministerin Theresa May, die eine Hauptprotagonistin der Einstellung der Rettungsmission war und ist, argumentiert, dass die Rettungsmissionen dazu führten, dass mehr Menschen die Flucht unternahmen. Die Einstellung der Rettungsmissionen soll demnach als Abschreckung dienen, um Menschen von der Flucht nach Europa abzuhalten. (Die gleiche Ministerin nahm übrigens auch Einfluss auf den Bericht des US Senates über die CIA-Folter, um jeden Verweis auf eine Kooperation des britischen Geheimdienstes aus dem Bericht zu entfernen.) 

 

Wenn die Argumentation von Theresa May, der sich die anderen EU-Staaten, auch die Bundesrepublik Deutschland, de facto angeschlossen haben, ernstgenommen wird, ergibt sich folgende Logik:

 

- Weil Menschen lebend Europa erreichen, ergeben sich Anreize für weitere Menschen, die Flucht zu unternehmen.

 

- Rettungsmissionen tragen dazu bei, dass Menschen lebend Europa erreichen und schaffen damit Fluchtanreize.

 

- Wenn durch die Einstellung der Rettungsmission künftig vermehrt Menschen sterben, wird dies weitere Flüchtlinge abschrecken, die Flucht nach Europa zu unternehmen

 

Die Einstellung der Rettungsmission durch die EU-Staaten soll also künftige Fluchten verhindern, indem zunächst kurzfristig mehr Menschen in den Fluten zu Tode kommen und entsprechend weniger Menschen Europa lebend erreichen. Langfristig soll dies dann durch den erhofften Abschreckungseffekt zu weniger Fluchten und auch zu weniger Todesfällen im Mittelmeer führen.

 

Die Beendigung der Rettungsmission geht im Inneren einher mit verstärkten Bemühungen, Flüchtlinge, die sich illegal in der EU aufhalten, zu identifizieren und möglichst zu deportieren. Vor allem aber wolle man - so lautet die offizielle Argumentation - gegen die Schleuser vorgehen, die den Menschen erst die Flucht über das Mittelmeer ermöglichten, diese ausbeuteten und für ihr Elend verantwortlich seien. Dass durch den Kampf gegen Schleuser keine Fluchtursachen beseitigt werden, sondern lediglich den Flüchtlingen der Weg weiter versperrt wird, wird öffentlich durch die Verantwortlichen nicht angesprochen, scheint für sie aber kein grundlegendes Problem darzustellen. 

 

Ein Großteil der Flüchtlinge besteigt die Boote über das Mittelmeer übrigens von Libyen aus. Libyen ist derweil seit dem durch die westliche Staatengemeinschaft mit militärischen Mitteln erzwungenen Sturz des Diktators Gaddafi ein sogenannter failed state. Eskalierende Menschenrechtsverletzungen, die Übernahme ganzer Städte durch islamistische Fundamentalisten und sogar durch den Islamischen  Staat (IS, ISIS)  und der Zusammenbruch jeder staatlichen Ordnung entsprechen einem Inferno, aufgrund dessen übrigens ungefähr ein Drittel der libyschen Gesamtbevölkerung mittlerweile im Ausland lebt.

 

Flüchtlinge in Libyen befinden sich in einem Zustand der Rechtelosigkeit, sind Erpressungen, Verschleppungen, Versklavungen und sexueller Gewalt ausgesetzt. In ihrer großen Mehrheit aus vergleichbaren Kriegs- und Krisenregionen stammend, können sie weder vor noch zurück und der Weg über das Mittelmeer ist die einzige Möglichkeit, um ihr Leben zu retten und die Hoffnung auf eine menschenwürdige Zukunft zu bewahren.

 

Die Einstellung der Rettungsmaßnahmen durch die EU geht davon aus, dass verzweifelte und um ihr Leben kämpfende Menschen den einzig möglichen Rettungsweg nicht einschlagen werden, wenn ihre Erfolgs- und Überlebenschancen sinken. Diese Logik ist ebenso menschenverachtend wie fehlerhaft.

 

Indem die europäische Union auf eine Politik der Abschreckung durch Ertrinken setzt, verliert sie jedwede Legitimation, sich als eine moralische Wertegemeinschaft von Freiheit, Demokratie und Menschenrechten zu verstehen.  Auf die gleiche Weise wie die USA als Rechtsstaat delegitimiert worden sind aufgrund der durch oberste Staatsorgane angeordneten barbarischen Folter durch die CIA und der grassierenden rassistischen Polizeigewalt, die beiderseits straffrei bleiben, widerlegt die tödliche Abschreckungspolitik der EU gegenüber den Flüchtlingen die Sonntagsrhetorik von Menschlichkeit und Solidarität.

 

Die UN werfen der EU berechtigt vor, sich mehr um den Schutz ihrer Grenzen als um das Überleben von Flüchtlingen zu sorgen. Jedoch sind auch die Vereinten Nationen offenbar weder gewillt noch dazu in der Lage, die Staaten der europäischen Union zu einem Kurswechsel zu zwingen und das Massaker im Mittelmeer zu stoppen.

 

Die EU Staaten opfern das Leben der Flüchtlinge und betreiben eine Politik der Entsolidarisierung. Vertreter einer Zivilgesellschaft, die sich der Logik der Flüchtlingsabwehr verweigern, können sich nur zusammenschließen, um der menschenrechtswidrigen Politik ihrer Regierungen und der Indifferenz der Mehrheit die Werte von Solidarität und Menschlichkeit der Bevölkerung entgegenhalten.

 

An alle Leserinnen und Leser richtet sich der Appell:

 

Lesen Sie die Hinweise der Internationale Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM) und engagieren sie sich dort. Denunzieren Sie niemals einen Menschen ohne Papiere, sondern schützen sie sein Leben. Machen Sie bei Initiativen mit, wie "Kein Mensch ist illegal" und beim "noborder network. Werden Sie Mitglied von ¨Pro Asyl¨. Unterzeichnen Sie die amnesty international Petition "SOS Europa: Erst Menschen, dann Grenzen schützen".  Zeigen Sie, dass Sie sich mit den durch die Politik der Staaten der EU bedrohten Menschen solidarisieren und dass es - trotz alledem - noch Menschlichkeit gibt! 

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Kommentar von Reinhold Goehlmann |

"um der menschenrechtswidrigen Politik ihrer Regierungen und der Indifferenz der Mehrheit die Werte von Solidarität und Menschlichkeit der Bevölkerung entgegenhalten."
Indifferenz der Mehrheit? Schön wär's. Die Mehrheit ist ausländerfeindlich, die Asylanten könnten ja ein Stück vom Kuchen abhaben wollen. Da stecken verbreitet tiefe Ängste in den Wohlstandsbürgern, man selbst könne dadurch eingeschränkt werden. Dass der Zustrom von Flüchtlingen auch Chancen fürs eigene Land bringen kann, wird übersehen. Die Politiker, allesamt Opportunisten, greifen nur die bestehenden Ressentiments innerhalb der eigenen Bevölkerung auf.

Und was ist Fluchtursache? Sicherlich die massive Armut in den Ländern, aus denen die Flüchtlinge kommen - einer Armut, an der die reichen Länder meist tüchtig mitgewirkt haben. Es braucht Investitionsprogramme, die darauf abzielen, dass das Leben in den jetzigen Armutsländern wieder menschenwürdig wird und gerade junge Menschen eine Perspektive bekommen. Statt Milliarden in Militärausgaben zu stecken, damit die Superreichen ihre Pfründe absichern können, muss in Bildung und Wirtschaft der Armutsländer investiert werden. Mal eben ein paar Tausend Menschen ersaufen lassen passt zum "christlichen" Selbstverständnis.