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Syrien: Dienen Waffenlieferungen den Menschenrechten ?

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Verheerende Zerstörungen in Homs (http://commons.wikimedia.org/wiki/User:Bo_yaser)

Es ist unstrittig, dass in Syrien seit Jahrzehnten eine Diktatur herrscht, die sich durch oligarchische Selbstbereicherung kennzeichnet und auch zum Einsatz massiver Gewalt zum Machterhalt seit jeher bereit gewesen ist.  In der gegenwärtigen Bürgerkriegseskalation bemüht sich das Regime nicht, Zivilisten zu schonen, sondern agiert - wie ein in die enge getriebenes Raubtier - mit indiskriminativer Gewalt.  Aber auch bevor das syrische Regime im Kampf gegen eine bewaffnete Opposition ganze Städte und Stadtviertel zerbombte, agierte es mit  der Verfolgung politischer Gegner, Folter und Verschwindenlassen. Der Sohn übernahm damals diese Maßnahmen vom Vater und setzte sie bar aller Versprechen von Reformen fortsetzte.

 

Ist die aktive Unterstützung des Westens für die bewaffnete Opposition also als Einsatz für die Menschenrechte zu verstehen? Gilt dies entsprechend auch für die aktuellen Forderungen aus England und Frankreich, nicht nur indirekt, sondern auch direkt Waffen an die syrische Opposition zu liefern?

 

Zweifel an dem Menschenrechts-Bezug der westlichen Intervention ergeben sich bereits aus der Sachlage, dass der unterdrückerische und gewalttätige Charakteristik des Assad Regimes den Westen lange Zeit nicht beunruhigte. Auch aus Deutschland wurden Flüchtlinge nach Syrien abgeschoben, weil ihnen dort angeblich keine Gefahr drohte. Auch kooperierten die Staaten des Westens mit den syrischen Sicherheitskräften bis hin zur Rendition von Terrorverdächtigen nach Syrien, die dort gefoltert und nach Maßgaben der US amerikanischen Geheimdienstes verhört wurden (siehe hier).

 

Nach libyschen Vorbild?

 

Erkennbar wird hier eine bemerkenswerte Parallelität zum Umgang des Westens mit dem  Gaddafi Libyen, mit dessen Geheimdiensten und Sicherheitskräften man ebenfalls eng kooperierte, ihnen Verdächtigte zu Folter und Verhör auslieferte, Namen von libyschen Oppositionellen preisgab und mit dessen Hilfe ein Bollwerk gegen Flüchtlinge aus dem subsaharischen Afrika auf ihrem Weg nach Europa errichtet wurde (siehe z.B.  hier und hier).

 

Gleichzeitig gibt das  libysche Beispiel berechtigten Anlass zur Sorge, wie es wohl in einem Post-Assad-Syrien um die Menschenrechte stünde. Seit Sturz des libyschen Machthabers Gaddafi, der vor laufenden Kameras durch die durch den Westen unterstützen Rebellen anal vergewaltigt und zu Tode misshandelt wurde, hat sich die Menschenrechtssituation in Libyen nicht gebessert. Einziger Unterschied zur Zeit unter Gaddafi ist, dass der Westen nun wieder schweigt, wie er es auch zuvor tat als er noch mit Gaddafi verbündet ist.

 

Ungesühnt und nicht wieder gutgemacht ist weiterhin die ethnische Säuberung Stadt Tawargha von ihren schwarzen Bewohnern. Weiterhin bleibt Tawergha eine Geisterstadt. Ihre Bewohner wurden und blieben Opfer einer ethnischen Säuberung durch die Rebellenbewegung (siehe hier). Dies Kriegsverbrechen ist bis heute unbestraft geblieben und seine Konsequenzen bestehen fort. Die neuen Machthaber sprechen den schwarzen Bewohnern Tawerghas weiterhin das Recht auf Rückkehr in ihre Heimatstadt ab. Sie erklären die großangelegte ethnische Säuberung einer gesamten Stadt zu einem lokalen Problem. Viele der Bewohner Tawarghas werden dabei nach wie vor illegal unter menschenunwürdigen Bedingungen festgehalten. Wer protestiert, riskiert sein Leben (siehe hier).

 

Strafrechtlich verfolgt werden ausschließlich - und dies in Form nicht rechtsstaatlicher Verfahren - die Anhänger oder angeblichen Anhänger des Gaddafi Regimes. Mordende, plündernde und vergewaltigende Rebellen wurden bisher keiner strafrechtlichen Sanktionierung zugeführt. Weiterhin florieren darüber hinaus die mehr oder weniger privaten Gefängnisse, in denen Menschen ohne jeden Schutz gefangen gehalten, misshandelt, und gefoltert werden, teilweise bis zum Tod. Gewechselt haben die Akteure, Foltermethoden und Folterinventar sind gleich geblieben.

 

Zur anhaltenden Folter in Libyen hat Amnesty international einen Bericht veröffentlicht (siehe hier). Zu ähnlichen Einschätzungen gelangt man bei Lektüre diverser Stellungnahmen von Human Rights Watch (siehe hier, hier und hier). Pro Asyl fasst die Befundlage zusammen: "Auch im neuen Libyen wird gefoltert" (siehe hier). 

 

Politische Verfolgung, Folterung, Verschwindenlassen - das Libyen nach Gaddafi unterscheidet  sich nicht  grundlegend vom Libyen unter Gaddafi. Mehr politische Freiheit für die Gegner Gaddafis und die Freilassung politischer Gefangener als  echte Errungenschaften wurden erkauft mit neuer politischer Verfolgung, eskalierten Rassismus und der Willkür unkontrollierbarer Milizen, die in ihren mehr oder weniger bekannten Privatgefängnissen als Herren über Leben und Tod auftreten.

 

Das Beispie Libyen macht auch in Bezug auf Syrien deutlich, dass berechtigte Zweifel an der Ernsthaftigkeit der Einforderung von Menschenrechten durch den Westen bestehen. Die Erschütterung über die eskalierende Gewalt in Syrien und ihre zivilen wie nicht-zivilen Opfer ist berechtigt. Jedoch ergibt sich der Eindruck, dass die westlichen Staaten nicht aus echter Sorge um die Menschenrechte handeln, sondern dass es um bloße machstrategische Überlegungen geht, für die Menschenrechte lediglich instrumentalisierend als Legitimation herangezogen werden.

 

Syrien:  Politik der Kompromisslosigkeit

 

Der Verdacht, dass es dem Westen nicht um Menschenrechte geht, wird zusätzlich dadurch genährt, dass es seitens der westlichen Staaten -  erneut vergleichbar mit dem libyschen Beispiel - keinerlei Ermutigung an die syrische Opposition gegeben hat, Kompromissspielräume mit dem syrischen Regime auszuloten. Dabei gibt es durchaus eine syrische Oppositionsbewegung, die von Anfang an, noch vor der aktuellen Eskalation des Bürgerkrieges, Möglichkeiten für eine friedliche und damit Menschenleben schonende Lösung sah. Dieses "National Coordination Committee for Democratic Change" (NCC) - viele seiner Mitglieder wurden schon früher durch das syrische Regime verfolgt und zahlten für ihre Opposition einen harten Preis - stellt einen Zusammenschluss oppositioneller Kräfte dar, die für einen konsequenten, aber  friedfertigen Widerstand gegen das Assad-Regime plädieren. Es handelt sich um eine Bündnis aus Sunniten, Aleviten und Kurden, die der Widerstand gegen das syrische Regime ebenso wie ihre Ablehnung der Logik der militärischen Eskalation vereint.

 

Der Westen entschied sich, nicht das NCC, sondern bewaffnete Kräfte  zu unterstützen, deren militärische Widerstand maßgeblich zur jetzigen Bürgerkriegssituation führte und die ihrerseits mit massiven Menschenrechtsverletzungen, einschließlich Hinrichtungen, Folter und Terroranschlägen auf Zivilisten in Erscheinung treten (siehe hier).

 

Das Assad Regime hatte durchaus, zweifelsohne unter dem Druck des Widerstandes und aus Angst seiner Repräsentanten um ihre Existenz, Bereitschaft zu Verhandlungen, Reformen und zu einer Verfassungsänderung signalisiert. Die NCC wollte diese Bereitschaft ausloten und durch eine Fortsetzung des friedlichen Widerstandes die Verhandlungsposition der syrischen Opposition verbessern. Anstatt aber nunmehr das Regime beim Wort zu nehmen und gemeinsam mit Russland und China, die dem Regime eher zugetan sind, aber auch eher Einfluss auf es haben, das Regime mit Druck und positiven Anreizen zu einer wirklichen Veränderung zu bewegen,  hat sich der Westen erneut auf die Maximalforderung des als unverhandelbar erklärten kompletten Rücktrittes des Regimes eingeschränkt. Unterstützt wurden dabei ausschließlich diejenigen Widerstandskräfte, die auf einen totalen Sieg setzen und jeder Kompromisslösung ablehnend gegenüberstehen. Durch diese westliche Politik wurde aber mit dazu beigetragen, dass beim syrischen Regime der Eindruck entstand,  nur noch mit dem Rücken zur Wand stehend zwischen Suizid und Angriff wählen zu können.

 

Den Preis für die Logik der kriegerischen Machtentscheidung zahlen die Menschen in Syrien.

 

Ehrliche Makler oder Konfliktpartei?

 

Wird das Verhalten des Westens und auch das Verhalten der kaum von der westlichen Position unabhängig agierenden UN betrachtet, vermitteln diese nicht den Eindruck ehrlicher Makler, die zum Wohl des syrischen Volkes eine friedliche Lösung erreichen möchten,  sondern sie verhalten sich wie eine Konfliktpartei, die einen Sieg um jeden Preis anstrebt.

 

Die Rhetorik des bewaffneten Widerstandes und Kampfes lautet: "Das Volk verteidigt sich gegen das Assad Regime". In Wirklichkeit handelt es sich aber um eine vereinseitigte Sichtweise. Die Oppositionstruppen verteidigen nicht vorwiegend Menschenleben, sondern sie tragen mit bei zu der kriegerischen Eskalation und damit zum Verlust von Menschenleben.

 

Während Menschenrechtsverletzungen des Regimes seit jeher bestehen, ist die nun zu verzeichnende Eskalation nicht ausschließlich Folge von Regime-Gewalt gegen friedliche Demonstrationen, sondern - ähnlich wie in Libyen - zu einem guten Teil ebenfalls mitbedingt durch das schnelle  Auftreten bewaffneter Oppositionskräfte, die ihrerseits Menschenrechtsverletzungen begehen. Auf diese Spirale der Eskalation hat der Westen nicht mäßigend eingewirkt, sondern sie wurde und wird befördert durch die Politik der westlichen Staaten und mittelbar auch durch die einseitige Berichterstattung unserer Medien. Die sicherlich bald beginnenden offiziellen Waffenlieferungen an die syrische Opposition spitzen diese einseitige Parteinahme weiter zu.

 

In Wirklichkeit scheinen sich die Konfliktparteien in Syrien im Hinblick ihre Bereitschaft zu Menschenrechtsverletzungen nichts zu nehmen. Selbstmordanschläge und Al Quaida Taktiken sind die Strategie der militärischen syrischen Opposition, auch Entführungen von Zivilisten, selbst im Libanon. Gewalt der Panzer und Scharfschützen und Clusterbomben ist die Strategie der syrischen Regierung.

 

Während die Menschen in Syrien für ihre Freiheit aufbegehrten, verfolgte der Westen andere Interessen und unterstützte deshalb  die militärische Instrumentalisierung friedlicher Demonstrationen durch bewaffnete Oppositionsgruppen. Die gegen die Menschen gerichtete Gewalt der betroffenen Regime, wurde dadurch aber nicht abgemindert, sondern zur Eskalation gebracht, was nun wiederum als Rechtfertigungsbasis für eine weitere Steigerungsstufe des westlichen Engagements in Form direkter Waffenlieferungen ins Feld geführt wird.

 

Während ein eigener Macht- und Einflussgewinn angestrebt wird, wird das Risiko einer unbeabsichtigten Nebenfolge im Sinne der Förderung fundamentalistisch-islamistischer Kräfte durch die westlichen Staaten in Kauf genommen, woraus in Folge erneut erhebliche Gefährdungen der Menschenrechte (Frauenrechte, Religionsfreiheit, Homosexuellenrechte etc.) resultieren können. Auch dies ist mit einer zunehmend in Syrien ausbreitenden islamistischen bewaffneten Opposition bereits teilweise Realität. Indirekt finanziert der Westen auch Al Kaida. Wenig scheint der Westen so aus Afghanistan gelernt zu haben, wo sich die westlichen Staaten schon einmal indirekt mit dem Islamismus verbündeten und  dadurch die heutige Al Kaida erst erzeugten.

 

Leidtragend ist das Volk

 

Der menschenverachtende Charakter des syrischen Regimes und das Ausmaß der gegenwärtig durch dieses Regime begangenen schweren Menschenrechtsverletzungen darf in keiner Weise in Abrede gestellt, minimiert oder in einen rationalisierenden antiimperialistischen Legitimationsversuch eingeordnet werden. Insofern bedeutet Kritik am Handeln des Westens nicht, dass damit Sympathie für Stimmen zum Ausdruck gebracht werden soll, die sich an die Seite des Assad Regimes stellen und dessen militärisches Vorgehen zum Widerstand verklären.

 

Leidtragend ist in Wirklichkeit die Bevölkerung, die nicht nur die Folge von Militäraktionen aller Seiten zu tragen hat, sondern die sich letztlich auch beim Sieg der gegen das Regime gerichteten Kräfte erneut in einem die Menschenrechte grundlegend verletzenden Staat wiederzufinden droht. Wäre diese Staat pro-westlich, würden die westlichen Staaten schweigen, so wie jetzt zu den Menschenrechtsverletzungen in Libyen. Wäre es aber ein islamistischer Staat, wäre kurz- oder mittelfristig der nächste Kriegsschauplatz eröffnet.

 

Die Position an der Seite von Menschen und Menschenrechten steht - wie so oft - zwischen allen Stühlen, indem sie auf Seite der friedlich Protestierenden  und der NCC stehend sich gegen die Gewalt des Assad Regimes, aber auch gegen die durch den Westen und die bewaffnete nicht-islamistische und islamistische Opposition miterzeugte Eskalation sowie damit gegen die Logik der verdeckten oder offenen militärischen Intervention anderer Staaten wendet.

 

Es ist Ironie der Geschichte, dass ausgerechnet diejenigen im Namen der Menschenrechte nach direkten Waffenlieferungen und einer weiteren militärischen Eskalation des Bürgerkrieges in Syrien rufen, die zuvor mit dem Assad Regime, wenn es ihnen gelegen kam, paktierten, beispielsweise indem sie Flüchtlinge nach Syrien abschieben oder Terrorverdächtige dort foltern ließen. Demgegenüber wenden sich gemeinsam mit der NCC diejenigen politische Kräfte gegen die Logik der militärischen Eskalation und für eine friedfertige Verhandlungslösung durch Druck auf beide Seite, die bereits zuvor - als es noch nicht opportun war - an der Seite der Verfolgten des Assad- Regimes, der Flüchtlinge wie auch der Opfer von Folter und Rendition standen.

 

Die Tragödie in Syrien kann durch einen militärischen Sieg einer Seite nur unter Voraussetzung einer noch größeren Tragödie beendet werden. beendet werden. Die nunmehr im Raum stehenden direkten Waffenlieferungen durch den Westen sind machtstrategisch motiviert und keineswegs menschenfreundlich.

 

Indem die westlichen Staaten mit ihrer Politik einer friedlichen Lösung durch erforderlichen Druck auf alle Seiten, internationale Kooperation und positive Anreize von vornherein keine Chance geben, tragen sie dazu bei, dass Leben von Menschen zu vergeuden und das Land in Schutt und Asche zu legen.

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