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Was wird in Irak und Syrien? Drei Szenarien

(Kommentare: 1)

Irak und Syrien sind zerfallende Länder. Zwischen den unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen und Religionen regieren Hass und Krieg. Es zieht nicht nur die ISIS (IS) mordend durch Irak und Syrien und führt einen Vernichtungsfeldzug gegen andere Religionen. Ebenso entführen, foltern, vergewaltigen und töten schiitische Milizen im Irak sunnitische Muslime. Straflosigkeit wird ihnen von der eigenen Regierung zugestanden. Großflächige ethnische Vertreibungen kennzeichnen weiter Landesteile beider Länder. Alle Religions- und Bevölkerungsgruppen; Sunniten, Schiiten, Aleviten, Christen und Jesiden, Araber wie Kurden, haben Opfer zu beklagen und sehen in eine ungewisse Zukunft. Kriegsverbrechen, Folterungen, Morde und Vertreibungen begehen ebenso die Truppen des syrischen Diktators Assad wie die Truppen seiner Gegner. Zivile Opfer in hoher Anzahl sind auch durch die US-amerikanischen Luftangriffe zu verzeichnen. Für die Menschen sind Syrien und der Irak zu einem Inferno geworden. Wie kann es weitergehen?

 

Dauerhafter Konflikt bei fortbestehendem staatlichem Zerfall

Ein echter Durchbruch gelingt niemanden, aber die Konfliktbeteiligten sichern sich Kernzonen der Machtausübung. Das Assad-Regime, die schiitisch dominierte irakische Regierung, die ISIS (IS), die al-Nusra Front in Syrien, Kurden in Irak und in Syrien sowie die sogenannten moderaten Rebellen, wie die Syrian Revolutionary Front (SRF) können sich in einzelnen Landesteilen und Gebieten festsetzen. Da Offensiven aller Seiten stagnieren, entsteht ein durch immer wieder stattfindende und temporär aufflammende Kämpfe gekennzeichneter Status Quo, der vermutlich auch anhaltende Drohnen- und Bombenangriffe der USA und ihrer Verbündeten auf ISIS-Stellungen und andere islamistische Kräfte einschließen wird. Um einen Einflusspartner am Boden zu haben, werden die USA und ihrer Verbündeten sogenannte moderate Rebellen stärker unterstützen und mit Waffen beliefern. Vor dem Hintergrund wechselnder Bündnisse und der Nähe eines Teiles der „moderaten „ Rebellen zur al Nusra Front (siehe hier) und anderen radikalen Islamisten, sowie aufgrund von Eroberungen werden diese Waffen ebenso bei der ISIS (IS) landen und der Absicherung von deren Machtgebieten Vorschub leisten. Im Ergebnis resultiert eine Fragmentierung und Teilauflösung von Irak und Syrien und der Einzug somalischer Verhältnisse. Menschenrechtsverletzungen mit Verschleppungen, Folterungen, Exekutionen sowie kriegerischen Angriffe auf Zivilisten werden zur Tagesordnung gehören. In den ISIS-Gebieten wird eine radikal islamistische Herrschaft errichtet, die - auch wenn sie den Durchbruch verfehlte – weltweite Anziehungskraft ausüben, ausländische Kämpfer anziehen und Verankerung terroristischer Strukturen fördert. Repression und Unterdrückung verschärfen werden aber auch das Assad-Regime und die irakische Regierung in den von ihnen kontrollierten Gebieten, wobei Milizen, die keinerlei rechtsstaatlicher Kontrolle unterliegen, eine wichtige Rolle spielen werden.

 

Krieg gegen ISIS (IS) und Assad führt zur weiteren Eskalation

Das Bombardement gegen die ISIS (IS) ist nur der Vorlauf zu einer Ausdehnung der westlichen Bombenangriffe auf die Truppen des syrischen Diktators Assad. Die sogenannten moderaten Rebellen verfügen über keine ernsthaften militärischen Kräfte und nur begrenzten politischen Rückhalt in der Bevölkerung. Sie können militärisch auf sich allein gestellt nicht siegen. Die erhalten daher massive Unterstützung aus der Luft, Waffenlieferungen und Training. Weitreichende Bombardierungen auf ISIS (IS) Stellungen in Irak und Syrien, sowie auf Stellungen der Assad-Truppen führen zu massiven Kollateralschäden unter der Zivilbevölkerung und zur weiteren Zerstörung der Infrastruktur beider Länder. Es setzt sich das türkische Wunschszenarium um und es kommt ggf. sogar zu einer Bodeninvasion von der Türkei aus in Teile Syriens. Verhindert werden soll so aus türkischer Perspektive, dass die den ISIS (IS) Angriff überlebenden kurdischen Gemeinschaften sich zu einer einheitlichen Struktur zusammenschließen. Assad-Truppen und die ISIS (IS) leisten heftige Gegenwehr. Dabei kann Assad auf Unterstützung durch Russland bauen. Im Rahmen der Zuspitzung der kriegerischen Situation kommt es zu einer Explosion der Todes-, Verletzten- und Flüchtlingszahlen. Ethnisch und religiös motivierte Massaker eskalieren und die Basis für dauerhaften Hass zwischen den Bevölkerungsgruppen wird gefestigt. Im Irak begehen unter dem Schutz der Luftangriffe vorrückende irakische Soldaten und schiitische Milizen schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen und Massaker. Die Sunniten entfremden sich noch weiter vom irakischen Staat und werden letztlich in die Arme der eigentlich ungeliebten ISIS (IS) getrieben. Weder in Syrien noch im Irak entsteht eine Grundlage für eine demokratisch-rechtsstaatliche Gesellschaft. Der Sieg über ISIS (IS) und Assad wird entweder durch eine ebenso brutale Terrorherrschaft aufrechterhalten oder, was wahrscheinlicher ist, es resultiert ein weiterer Zerfall beider Staaten mit weitreichender Anarchie und lokaler Machtausübung durch unterschiedlich motivierte Milizen wie derzeit in Libyen. Nach initialer Niederringung kommt es zu einer Erholung und einer erneuten Offensive von ISIS (IS). Ein Einsatz westlicher Bodentruppen mag erforderlich werden, um einen äußerst fragilen und gewalttätigen Status Quo zu erhalten.

 

Kompromiss-Bündnis aller gegen ISIS (IS)

Die enorme Bedrohung durch die ISIS (IS) bringt Gegner an einen Tisch. Alle relevanten politisch-militärischen Formationen in Irak und Syrien vereinen sich strategisch zur Niederringung der ISIS. Das Assad-Regime, Kurden und die sogenannten moderaten Rebellen in Syrien sowie die irakische Regierung und Armee, die mit ihr kooperierenden Schiiten-Milizen, Sunniten, die sich gegen die ISIS stellen, die Kurden im Irak, die Christen sowie die internationale Gemeinschaft gelangen zu einer Übereinkunft zur Niederringung der ISIS (IS). Dies schließt die USA und Russland ein. Alle Seiten gelangen zusammen, weil sie erkennen, dass jeweils ohne die anderen Seiten ein Erfolg nicht möglich ist. Die Isolierung von ISIS (IS) und die militärische Koordination aller gegen sie gerichteten Kräfte ermöglicht einen Durchbruch. Die ISIS (IS) wird niedergerungen und kann kein durch sie besetztes Gebiet mehr halten. Ihre Aktivität wird so auf einzelne terroristische Angriffe reduziert. Möglich wird dies, weil unter dem Eindruck der Bedrohung durch die ISIS (IS) alle Seiten Kompromissbereitschaft entwickeln und bereit sind, einen „Pakt mit dem Teufel“ zu schließen. Zur dauerhaften Absicherung wird eine Vereinbarung über die Machtteilung getroffen, die einen Übergang zu demokratischen Strukturen mit Garantien für Minderheiten beinhaltet. Allen beteiligten Seiten wird eine weitere gesellschaftliche Rolle zugestanden, um ihre Kooperation zu erreichen. Von einer strafrechtlichen Aufarbeitung der von allen Seiten begangenen Menschenrechtsverletzungen wird allerdings – mindestens bis auf weiteres – abgesehen. Eingerichtet werden kann aber zur Aufklärung und Bearbeitung eine Versöhnungskommission nach südafrikanischem Muster. Es gelingt nach der militärischen Niederringung der ISIS eine Befriedung beider Länder, wobei die Staatlichkeit von Irak und Syrien im Rahmen eines föderalen Systems mit weitreichenden Autonomierechten aufrechterhalten wird. Es wird mit einer Politik der Demokratisierung und des Aufbaus von Rechtsstaatlichkeit begonnen, so dass den Alltag prägende Menschenrechtsverletzungen überwunden werden können. Dieser Prozess der Etablierung rechtsstaatlicher und demokratischer Prinzipien wird durch anhaltende terroristische Aktivitäten erschwert, aber nicht ernsthaft gefährdet, zumal durch das breite Bündnis eine weitreichende Isolierung von ISIS (IS) gelungen ist.

 

Wie geht es weiter?

 

Werden Szenario 1 oder 2 Wirklichkeit, werden die Menschenrechtsverletzungen in Syrien und Irak anhalten und weiter eskalieren. Leidtragende sein werden die betroffenen Menschen. Szenario 3 ist das für die Menschen in Syrien und im Irak, aber auch für die internationale Sicherheit, bestmögliche Szenariuo. Es verlangt aber von allen Seiten Willen, Mut und Kompromissbereitschaft, für die derzeit keine Seite bereit ist.

 

Zu befürchten ist, dass alle Seiten eher eine weitere Verschlechterung der katastrophalen Lebensbedingungen der Menschen in Syrien und im Irak hinnehmen werden, als einen Kompromiss mit dem Gegner zum Wohle der betroffenen Menschen zu schließen. Auch die westlichen Staaten verharren in einer Position der Hilflosigkeit durch Kompromisslosigkeit, die einer Überwindung des Infernos, welches die Menschen in Irak und Syrien mit einer Mitschuld der westlichen Staaten heimgesucht hat, erschwert.

 

Ein Bündnis auch mit Assad bedeutet nicht, dessen Menschenrechtsverletzungen zu legitimieren, sondern es würde Chancen eröffnen, den Terror der ISIS (IS) zu besiegen und gleichzeitig rechtsstaatliche Strukturen zu etablieren. Ein Bündnis auch mit Assad in diesem Sinne gäbe die besten Aussichten zur Überwindung nicht nur des Terrors der ISIS (IS), sondern letztlich auch des Assad-Regimes. Nutznießer wären die Menschen in Syrien und im Irak, die derzeit einer Politik der Kompromisslosigkeit geopfert werden, die im Namen der Menschenrechte auftritt, aber tatsächlich die Menschen in Syrien und im Irak all ihrer Rechte, einschließlich ihres Lebens, beraubt.

 

Die Überlebensstrategie für die Menschen in Syrien und im Irak lautet, sofort alle bis auf die ISIS (IS) an einen Tisch zu bringen, damit sie im Eigeninteresse ihre Differenzen zurück stellen und so den Menschen einen Weg aus dem Inferno eröffnen. Dies ist der Weg der Menschlichkeit, auch wenn er den „Pakt mit dem Teufel“ einschließt, der notwendig ist, weil es für die Durchsetzung der Lebensinteressen der Menschen hierzu keine Alternative gibt.

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Kommentar von sivispacem |

Eine durchdachte Auffächerung der verbleibenden Möglichkeiten! Fortgelassen wurden nur die USA, denen nachgesdagt wird, sie wollten einen Zerfall des Irak und seine Aufsplitterung in Teile, um auf diese Weise einen erleichterten Zugriff auf das Erdöl zu bekommen.